Sie haben Angst vor Ihrer Verteidigung und befürchten Fragen, die Sie nicht beantworten können? Sie sind sich Ihres ungenügenden Wissens bewusst und fürchten deshalb die Kritik der Kommission? Die Vorstellung, öffentlich gedemütigt zu werden, lähmt Sie? Ändern Sie Ihre Einstellung!
Sie sind kein Student mehr
Sie haben gearbeitet – Sie haben sehr viel gearbeitet. Sie haben gelernt – und nicht nur Fakten.
Sie haben sich gründlich auf die Verteidigung vorbereitet.
In Ihrem Themenbereich haben Sie ein Maß an Fachwissen erreicht, das Sie vor Jahren, als Sie anfingen zu promovieren, sich nicht einmal vorstellen konnten.
Sie haben allen Grund, selbstbewusst in die Verteidigung zu gehen.
Sie wissen bestimmt nicht alles – als Fachmann oder Fachfrau kennen Sie aber die Grenzen Ihres Wissens, und das ist ein Zeichen Ihres Expertentums.
Wer behauptet, dass Ihr Wissen universal sein muss?
Sie sind qualifiziert, Ihre Thesen zu verteidigen.
Sie werden Ihren Doktortitel erhalten. Ihr Fachwissen wird öffentlich, wissenschaftlich und rechtlich anerkannt.
Wenn Sie Ihre Einstellung bis jetzt noch nicht geändert haben, so ist jetzt die Zeit.
Wenn Sie zu Ihrer Verteidigung kommen, betreten Sie den Raum nicht mehr nur als ein Student, der sich einer Prüfung zu unterziehen hat, sondern Sie stellen sich einem wissenschaftlichen Gespräch als Experte auf Ihrem Forschungsgebiet.
Anerkannte Experten besprechen mit Ihnen ein Thema, das Sie beherrschen und über das Sie mehr als jeder andere gearbeitet haben.
Denn Sie haben bereits Artikel veröffentlicht und/oder eine große Arbeit geschrieben – Ihre Doktorarbeit.
Sie sind nicht länger Student. Sie sind ein Experte.
Die Kommission will Sie nicht niedermachen
Ihre Kommission besteht aus Wissenschaftlern – gewöhnlich sehr beschäftigten Menschen. Einige von ihnen haben einen weiten Weg hinter sich, um an Ihrer Verteidigung teilzunehmen. Glauben Sie tatsächlich, sie haben diese Reise unternommen zu dem einzigen Zweck, Sie niederzumachen.
Bedenken Sie, die Kommission besteht aus ehemaligen Doktoranden, die all das durchgemacht haben, was Sie durchmachen, und wie Sie vor ihrer Verteidigung Lampenfieber hatten.
Weil sie alle Ängste hatten, Momente des Zweifels, können Sie sicher sein, dass sie Ihre Situation verstehen.
Die Verteidigung Ihrer Dissertation ist immer ein Moment intensiver Gefühle.
Zeigen Sie ihre Gefühle, ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen.
Die Kommissionsmitglieder werden Ihr Lampenfieber, Ihre Gefühle und Ihr mögliches ängstliches Zaudern verstehen.
Die Verteidigung ist mehr als eine Prüfung
Die Verteidigung ist eine Überprüfung Ihres Fachwissens, aber mehr noch Ihrer wissenschaftlichen Kompetenz und Haltung.
Dort zeigen Sie Ihre Bereitschaft, sich mit einem Thema offen und diskursiv auseinanderzusetzen.
Eine Verteidigung ist zumeist eine Mischung aus Prüfung und Gespräch – eine Disputation.
Sie werden eine der drei möglichen Formen der Verteidigung erleben und absolvieren.
Selbst in einem Rigorosum, das weniger Diskussion ist, sondern umfassende mündliche Prüfung Ihres auch fachübergreifenden Wissens, wird Ihnen eine unbeantwortete Frage nicht zum Verhängnis werden. Ihre intensive Vorbereitung verleiht Ihnen Ruhe und Selbstbewusstsein, und Sie werden die Prüfung mit Sicherheit bestehen.
In der Disputation weisen die Fragen der Kommission zumeist auf alternative, kritische oder von Ihnen nicht beachtete Punkte. Entwickeln Sie im Gespräch neue Hypothesen oder methodische Ansätze.
Für das Promotionskolloquium haben Sie einen Vortrag vorbereitet, in dem Sie Ihre Thesen, Ihre Methodik vorstellen und der zugleich die Grundlage des folgenden Gesprächs ist. Lenken Sie mit Ihrem Vortrag die Fragen der Kommission. Präparieren Sie in Ihrem Referat Fragen und diskussionswürdige Hypothesen, um das Gespräch in Ihrem Sinne anzuregen.
Erinnern Sie sich: Sie sind kein Student mehr. Sie sind ein Experte.
Sie haben sich Ihre Autorität hart erarbeitet, und weil Sie etwas Interessantes zu sagen haben – etwas Neues, Frisches, kamen namhafte Wissenschaftler, um Ihnen zuzuhören.
Nein, die Kommissionsmitglieder haben nicht einen halben Tag oder mehr geopfert, einzig um zu überprüfen, was Sie wissen.
Betrachten Sie Ihre Verteidigung als eine Möglichkeit, mit kultivierten, klugen Menschen, die Sie kennenlernen und mehr über Ihre Arbeit erfahren möchten, über Ihr Thema zu sprechen.
Sie werden an einer Diskussion teilnehmen, die Sie dazu bringen wird, Ihre Arbeit zu vertiefen, zu erkunden und zu reflektieren.
Die Verteidigung stellt gewissermaßen eine Initiation dar, der Sie sich zu unterziehen haben, um endgültig in den Kreis der Experten aufgenommen zu werden.
Sicherlich werden Sie etwas leiden, aber auch Vergnügen erleben – entweder im anregenden Gespräch oder wenn Sie es überstanden haben.
Und Sie werden die Verteidigung erfolgreich überstehen.
Denn die wichtigste Vorarbeit ist bereits getan.
Sie haben Ihre Dissertation abgeschlossen und vorgelegt.
Die Verteidigung ist kein Gerichtsverfahren
Die Kommissionsmitglieder sind nicht angereist, um ein vernichtendes Urteil zu fällen oder gar Sie zu verurteilen, sondern weil Sie Ihre Arbeit mit Interesse gelesen haben.
Natürlich wird nicht jeder mit allem einverstanden sein – ich würde sagen „gut so“!
Anderenfalls würde die Verteidigung eine simple Formalität, eine leere Konversation sein – langweilig.
Eine Verteidigung ist die Gelegenheit für einen faszinierenden intellektuellen und wissenschaftlichen Austausch.
Und – vielleicht das Gegenteil von dem, was Sie fürchten – Sie haben das Niveau, diesen Austausch anzuregen, zu beflügeln.
Sie haben Entdeckungen gemacht, starke Argumente vorgebracht, um Ihre Aussagen zu unterstützen.
Sie haben Schlussfolgerungen gezogen und sie wissenschaftlich begründet. Diese drücken Ihren Standpunkt aus, den sie verteidigen, aber zugleich auch weiterzuentwickeln bereit sind.
Alles, was Ihre Dissertation interessant macht, lädt zur Debatte ein.
Ihre Arbeit liefert nicht nur einige Antworten – sie wirft neue Fragen auf, eröffnet Diskussionen und schlägt neue Wege für die Forschung vor.
Möglicherweise offenbart Ihre Dissertation Unzulänglichkeiten, vielleicht Mängel – und natürlich werden sie nicht unbemerkt bleiben, denn die Kommission muss sowohl die von der Universität gesetzten als auch die eigenen akademischen Standards beachten.
Nichtsdestoweniger wird Kritik definitiv nicht im Mittelpunkt Ihrer Verteidigung stehen.
Ein Ratschlag: Anstatt Kritik als niederschmetternde Vorwürfe zu betrachten, sollten Sie sie als Anregung zur Verbesserung Ihrer künftigen Arbeit begreifen und entsprechend reagieren.
Vor allen Dingen demütigen Sie sich nicht selbst, um sich für Ihre Fehler oder Unvollkommenheit zu entschuldigen oder gar zu strafen: Noch einmal, die Kommission überprüft Ihr Fachwissen und ihre wissenschaftliche Fähigkeiten – und ist definitiv nicht dazu da, Sie zu verurteilen.
Sie sind kein Student mehr. Sie sind ein Experte.
Fragen sind nicht (nur) eine Wissensüberprüfung
Wenn die Kommission Ihnen Fragen stellt, dann nicht allein aus dem Grund, Ihr Wissen zu überprüfen oder gar Ihnen eine Falle zu stellen, sondern weil sie an Ihrer Arbeit interessiert ist – an Ihrer Haltung als Experte bzw. als Wissenschaftler.
Die Kommissionsmitglieder fragen, ja, weil sie Ihr Fachwissen überprüfen wollen, aber vielleicht auch, weil ihnen die Antwort nicht bekannt ist und Sie Ihnen als Autorität auf diesem Gebiet vertrauen.
Wenn Sie die Antwort kennen, dann geben Sie sie selbstverständlich, und sollten Sie sie nicht kennen, entschuldigen Sie sich nicht.
Wenn Sie eine Frage nicht beantworten können, zeigen Sie, dass Sie ein Experte sind, der zwar nicht alle Antworten kennt, aber wissenschaftlich zu denken und zu reagieren versteht.
Auch ein Experte verfügt nicht über universelles Wissen, kennt aber die Grenzen seines Wissens.
In dem Moment, wenn er etwas nicht weiß, ist er definitiv in der Lage, wissenschaftlich und offen zu reagieren.
Verhalten Sie sich als ein Experte: Antworten Sie „Ich weiß es nicht, aber ich kann mir vorstellen … aus den beobachteten Tatsachen lässt sich schließen … folgende Hypothese … dass … weil …“ etc.
Denken Sie daran, dass Sie antworten können, indem Sie Hypothesen entwickeln, neue Fragen stellen und Wege vorschlagen, die Sie in Zukunft erkunden möchten.
Auf diese Weise zeigen Sie nicht nur Ihre Fähigkeit, wissenschaftlich zu denken, Sie verhalten sich insbesondere als Experte, der Sie definitiv sind, indem Sie angesichts einer Frage, die Sie nicht beantworten können, einen kühlen Kopf behalten.
Zusammengefasst: Die Fragen, die die Kommission stellen wird, bieten Ihnen die Möglichkeit, sowohl Ihr Wissen als auch und vielmehr Ihre Qualitäten als Wissenschaftler unter Beweis zu stellen: Ihre Fähigkeit, die Perspektive zu ändern, einen Schritt zurückzutreten, eine Frage aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten – eine neue Frage zu untersuchen.
Sie werden sich in Ihrer Verteidigung bewähren, zeigen, dass Sie ein Wissenschaftler/eine Wissenschaftlerin sind.
Ändern Sie daher Ihre Einstellung.
Sie sind kein Student mehr – Sie sind ein Experte!