Schatzkiste Doktorarbeit: Auf der Jagd nach den verborgenen Juwelen

Eine Doktorarbeit ist eine Schatzkiste voller Juwelen. Doch einige Dissertationen gleichen eher verschlossenen, gar leeren Schatzkisten: Manche Promovierende neigen dazu, sich und ihre Leistungen hinter Unmengen von Zitaten zu verstecken. Sie zu ermutigen, nach den Juwelen Ihrer Arbeit zu suchen, bezweckt dieser Artikel.

Ihre erstaunliche Doktorarbeit

Eine seltsame Frage: Sind Sie sich Ihrer Doktorarbeit bewusst? Oder anders gefragt: Kennen Sie die Juwelen in Ihrer Dissertation?

Wollen Sie Ihre Leser überzeugen mit Ihren beeindruckenden Ergebnissen, Ihren originellen Ideen? Wünschen Sie einen wissenschaftlichen Disput? Gehört und gelesen zu werden? Oder wollen Sie nur einen Bericht liefern, nüchtern und trocken?

Immer wieder erlebe ich Promovierende, die keinen großen Wert auf Ihre Entdeckungen legen wollen. Wenn ich sie frage: „Worauf sind Sie stolz?“, lächeln sie verlegen.

Ihren Stolz scheinen sie allein auf ihre Bescheidenheit zu legen. Denn der wahre Wissenschaftler glänze bloß mit seinen Leistungen, so heißt es. Eben darum! Die Leistungen wollen und müssen entdeckt werden!

Gleichgültigkeit – der Ruin jeder Schreiblust

Alfons ist ein spezielles Beispiel. Auf die Juwelen seiner Doktorarbeit legte er keinen großen Wert – doch nicht aus Bescheidenheit, sondern aus Gleichgültigkeit. Sein Professor bot ihm eine Uni-Stelle an, wenn er seine Dissertation verfasst. Keinen anderen Ehrgeiz hatte er, als die Bedingung dieser akademischen Position, die Doktorarbeit, zu erfüllen. Wie, war ihm gleichgültig: „Die Stelle bekomme ich sowieso, die Diss wird schnell heruntergerissen.“

Doch die Schnelligkeit stellte sich als schwieriges Problem heraus. Es wollte ihm nicht gelingen, die Arbeit voranzutreiben, geschweige denn fertigzustellen. Obwohl ihm die Stelle sicher war, wie er meinte, fehlte ihm die Motivation. Woran es lag, wusste er nicht.

Verzweifelt kam er in meine Beratung.

Im Gespräch klagte er: Dass Schreiben so schwer sei, hätte er nicht gedacht. Er fände keine Freude daran, langweile sich mit dem Text. Arbeite tagelang nicht. Müsse sich immer wieder überwinden, anzufangen. Dazu schlafe er schlecht und sei generell antriebslos und frustriert.

Alfons Problem klang schwerwiegend. Wie konnte es gelingen, ihn zum Schreiben zu motivieren?

Ich stellte ihm eine Frage: „Was sind die Juwelen in deiner Arbeit?“

„Juwelen? Was ist denn das?“ fragte Alfons verwundert.

Daraufhin forderte ich ihn auf, mir die Ideen und Ergebnisse seiner Forschungsarbeit vorzustellen. Den Weg hin zu seinen Schlussfolgerungen zu beleuchten.

Oft reicht ein Perspektivenwechsel

Beim Erzählen begann er, seine Dissertation mit anderen Augen zu sehen. Plötzlich erkannte er die Bedeutung seiner Leistungen, glänzten seine Juwelen. Die Dramaturgie seiner Doktorarbeit wurde sichtbar.

Auf einmal saß mir ein anderer Mensch gegenüber: Er lächelte, seine Augen leuchteten und seine Stimme wurde sicherer.

Dass man die Juwelen in der eigenen Doktorarbeit erkennen müsse, davon hatte er bisher noch nie gehört. Und dass sie den Schreibrhythmus vorgeben können, ihn sogar anspornen, noch weniger.

Die Doktorarbeit wurde Alfons nun Anlass zur Freude: Er steigerte sich regelrecht hinein, schwang sich von Höhepunkt zu Höhepunkt. Und seine Dissertation wurde zu einer Fassung von Juwelen.

Bescheidenheit – Kontrolle oder Selbsthemmnis?

Ja, es gibt sie und es sind nicht wenige: die Bescheidenen. (Oder sind es Schüchterne? Oder mangelt es ihnen nur an Selbstvertrauen?)

Um keinen Preis möchten sie auffallen, nur das Dokument zu ihrer Doktorprüfung liefern. Still und bescheiden, mit fehlendem Selbstvertrauen oder auch nur gleichgültig wie Alfons, bemerken sie jedoch nicht, wie sehr sie ihrer eigenen Arbeit schaden, sie gar sabotieren. Ihre Klugheit und Brillanz opfern sie ihrer Bescheidenheit.

Aber Juwelen in der Doktorarbeit müssen nicht im Widerspruch stehen zum bescheidenen Habitus: Zurückhaltung und wissenschaftliche Leistungen lassen sich sehr wohl vereinbaren. Auf jeden Fall mehr als Großmäuligkeit oder ein überzogenes Selbstbewusstsein, das schon jede beliebige Formulierung zur brillanten Leistung erklärt (Ja, es gibt sie, die Angeber … und es sind nicht wenige – aber nicht unbedingt die Besten).

Sie sind kein Großmaul und wollen sich so weit wie möglich von protzigen Kollegen abgrenzen. Deswegen sind Sie bescheiden. Schön. Das ehrt Sie.

Aber: Bescheidenheit bringt Sie nicht nur dazu, Ihre Schätze zu verbergen, Ihre Leistungen klein zu machen. Sondern, nutzbringend verstanden und angewendet, kann sie Sie ebenso unterstützen, Ihre Leistungen richtig einzuschätzen und zu präsentieren. Bescheidenheit kann beides sein: unauffindbares Versteck Ihrer Leistung – und ebenso glänzende Fassung Ihrer Juwelen.

Wofür entscheiden Sie sich?

Juwelen – ein Fall von Bewusstwerdung?

Nicht wenige Dissertationen gleichen leeren Schatzkisten: Zwar angefüllt mit Zitaten, Referenzen, fehlen ihnen das Eigene. Eben die Juwelen! Oft aus Bescheidenheit, oft aus mangelndem Selbstvertrauen.

Aber es gibt mindestens zwei andere Gründe, warum es an sichtbaren Juwelen fehlt: Betriebsblindheit und Enttäuschung.

Meine Gedanken sind so banal!

Häufig erkennen Sie die Juwelen in der eigenen Arbeit nicht: Weil Sie schon so lange an Ihrer Diss sitzen, dass Sie Ihre originellsten Ideen als zu banal empfinden, um sie als Juwelen hervorzuheben. Manchmal haben Sie einfach nicht genug Abstand zu Ihrem Text.

In diesem Fall lohnt es sich, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Lassen Sie Kollegen oder Freunde Ihre Arbeit lesen, um die eigenen Juwelen zu erkennen.

Seien Sie sich Ihrer Doktorarbeit, ihrem Inhalt und Aufbau, bewusst. Machen Sie sich deutlich, dass Ihre Diss gelesen werden soll – und diskutiert. Ihre Leser erwarten etwas anderes, als das bereits Bekannte.

Meine Diss ist ein Flop!

Oft werden die wertvollsten Juwelen in der eigenen Arbeit nicht erkannt …, weil man etwas anderes erwartet hat. Weil man die gesetzten Ziele nicht erreicht hat.

Hassan zum Beispiel – er kam in meine Beratung und erklärte unvermittelt: „Meine Diss ist ein Flop!“

Er war verzweifelt: Sein Stipendium, verbunden mit dem Visum, lief am Ende des Jahres aus. Nur mit abgeschlossener Promotion konnte er eine Stelle an der Uni in seiner Heimat antreten. Ohne Doktortitel zurückzukehren kam für ihn nicht in Frage.

Auf meine Bitte, mir von seiner Diss zu erzählen, führte er alle seine Experimente – er promoviert in Physik –und deren Resultate auf. Jeweils mit der abschließenden Bemerkung: „… und auch das war ein Flop“.

Nachdem er die Aufzählung seiner vermeintlichen Flops beendet hatte, bat ich ihn, noch einmal von seiner Forschungsgeschichte zu berichten – aber jetzt hinzuzufügen, was er dabei bzw. daraus gelernt habe.

Die Liste war lang. Er hatte viel gelernt.

  • „Könnten all diese Lehren auch andere Wissenschaftler interessieren?“, fragte ich ihn.
  • „Ja sicher, jemand, der über dieses Thema weiter forschen will, würde viel Zeit sparen, wenn er wüsste, was nicht funktioniert und warum.“
  • „Oh, das sind aber sehr wertvolle Informationen – oder? Was, wenn du all diese Lehren als Juwelen betrachtest, und somit zeigst, wie lehrreich deine Experimente waren?“
  • Langes Schweigen. Hassan überlegte. Dann kam ein Lächeln. Seine Augen leuchteten …
  • „So hatte ich meine Dissertation noch nie gesehen … Ja, das klingt cool …“

Hassan ist dabei, seine Dissertation zu beenden. Meines Wissens wird sie sehr gut gelingen, und sein Prof. – der selbst von den angeblichen Flops sehr betroffen war – ist begeistert.

Machen Sie sich Ihre Arbeit bewusst!

Verkennen Sie also nicht die Bedeutung von Juwelen im Text. Es sind diese Schätze, die Interesse wecken, die Aufmerksamkeit auf Ihre Doktorarbeit lenken.

In Ihrer Verteidigung werden Sie froh sein, auf Ihre Juwelen bauen zu können.

Die eigene Doktorarbeit sich bewusst zu machen heißt nicht unbescheiden sein: Machen Sie sich also Ihre Arbeit bewusst! Juwelen sind Zeichen dieses Bewusstseins.

Ihre Dissertation – eine Fassung von Juwelen!

Die Juwelen in Ihrer Dissertation sind Ergebnis und Lohn. Nicht nur Sie selbst beglücken sie, sondern auch Ihre Leser – wenn es echte Juwelen sind. Ihre Bescheidenheit hat sich in Überzeugung verwandelt, eben in Juwelen, die auch andere begeistern. Selbst scheinbar widersetzliche, neuartige Juwelen haben ihren Wert in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung.

Die Juwelen machen den Wert Ihrer Doktorarbeit aus. Sie sollen sichtbar sein, denn auch an diesen wird sie gemessen. Mit ihnen wirken Sie öffentlich, in der wissenschaftlichen Community. Sie sind die Präsentation weniger Ihrer Person als Ihrer Arbeit.

Und nicht zuletzt sind Juwelen der glänzende Ausdruck Ihrer Freude. Diese Freude sollen Sie behalten und zeigen! Umso leichter wird Ihnen das Schreiben Ihrer Dissertation fallen!

Related Posts

Leave a Reply


Your email address will not be published. Required fields are marked

  1. Bescheidenheit beim Texte schreiben ist das A und O. Das schlimmste ist doch, wenn man das protzige schon im Text rausliest. Da macht es auch keinen Spaß weiter zu lesen. Sehr gut geschriebener Artikel!

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner